75 Jahre Gaensereiter

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Einige Splitter zur Geschichte des

Gänsereitens

 

von Rechtsanwalt Dr. Franz Peter Kloubert 

 

 

Die Ursprünge des Gänsereitens kommen aus Spanien, aus dem Dorf El Carpio de Tajo im Westen der spanischen Großstadt Toledo.

 

Als Entstehungsdatum wird das Jahr 1085 genannt, als der spanische König Alfonso VI vom Catilie´Toledo die Region um Toledo von den Mauren befreite. Zu Ehren des heiligen Jakobus und aus Freude über die gelungene Befreiung von der Besatzungsherrschaft der Mauren wurde am 25. Juli 1085 ein ausgelassenes Reiterfest veranstaltet, bei dem erstmals ein Wettkampf unter der Gans ausgetragen wurde.

 

Andere Quellen nennen als Ursprung die große Überschwemmung von 1486 durch den Fluß Tajo bei der Stadt Toledo. Aus Dankbarkeit des Überlebens fanden sich Bewohner zur Gründung der Bruderschaft des heiligen Jakobus zusammen. In ihrem Überschwang sollen die Mitglieder der Bruderschaft Reiterfeste um den Kopf einer Gans veranstaltet haben.

 

Neu belebt wurde dieses Spektakel von den Einwohnern von El Carpio de Tajo in Spanien im Anschluß an eine Pestepedemie im 16. Jahrhundert. Nach einer Sage soll ein Schimmel dreimal um den Platz galoppiert sein und die Einwohner vor dem Überspringen der Pest bewahrt haben. Die Bewohner von El Carpio de Tajo schreiben diese Fügung und Rettung dem heiligen Jakobus von Santiago de Compostela zu.

 

 

Während der spanisch-niederländischen Erbfolgekriege unter dem König Philipp II. von Spanien (1556 – 1598) kamen auch spanische Soldaten in die Regionen von Rhein und Ruhr. Es war hier das Hoheitsgebiet der Herren von Cleve-Mark und der Grafschaft Mark.

 

Die spanischen Soldaten rasteten im Bereich des Hellweges, der alten Heeres- und Handelsstraße im Kirchspiel der märkischen Gemeinden Freisenbruch, Sevinghausen und Höntrop.

 

In früheren Zeiten hatten bereits die Römer unter Karl dem Großen diesen Verbindungsweg für die Christianisierung und Unterwerfung der germanischen Stämme im Osten und Norden der Sachsen und Friesen genutzt.

 

Den spanischen Soldaten war der Hellweg auch als Pilgerroute in ihre Heimat nach Santiago de Compostela bekannt. Es handelt sich um den zweitgrößten Wallfahrtsort des Abendlandes. Die Kathedrale mit dem Sitz des Erzbischofs war bereits in den Jahren 1075 – 1128 errichtet worden.

 

Hier am Hellweg der märkischen Gemeinden befand sich das bereits um 1364 als Pilgerhaus errichtete Haus Stalleicken, welches später als Gasthaus und Hospital genutzt wurde. Auch die 1395 errichtete Bartholomäuskapelle am Hellweg zeugt vom Pilgercharakter der Route. Hier findet sich ebenfalls das von Everhard von der Brüggeney errichtete Leprosenhaus, dat nye seykenhuys by Hontroppe.

 

Zur Abwechslung des eintönigen Tagesablaufs besannen sich die spanischen Soldaten auf ihre heimatlichen Reiterspiele.

Schnell sammelten sie aus den umliegenden Gehöften lebende Gänse herbei. Diese wurden damals  lebend an den Füßen festgebunden und an einem Seil, welches quer aufgespannt wurde, aufgehängt.

 

In den Köpfen der Einheimischen, der Kötter und Bauernjungen, der Kohleschürfer und Fusselbrenner, der Leinenweber und Wollenspinner blieb dieses Schauspiel haften. Bald fanden sich junge Bauernburschen zusammen, um sich an der spanischen Gänsereiterei zu messen.

 

Die ortsansässige Bevölkerung erfreute sich an diesem Schauspiel mit wachsender Begeisterung und nahm es als willkommene und lustige Abwechslung im tristen Einerlei.

 

Nicht nur in den Bauernschaften und Dörfern am Hellweg, auch in den Städten der Umgebung wie Recklinghausen, Paderborn und Münster fanden sich begeisterte Anhänger der Gänsereiterei. Aus dem Jahre 1534 datiert ein Dokument der Stadt Recklinghausen. Die Stadtoberen hatten für die Festlichkeit die Gänse und einen weiteren Obolus zur Verfügung gestellt.

 

Die spanischen Reiter führen diese Tradition auch heute noch in farbenprächtigen Uniformen fort.

 

Lebende Gänse werden bei uns schon seit fast 200 Jahren für dieses Reiterschauspiel nicht mehr genutzt.

 

Bereits am 02. Dezember 1806 erfolgte durch den Herzog Ludwig, Landgraf von Hessen-Darmstadt, zugleich Landesherr von Westfalen, ein Verbot, lebende Gänse für das Reiterspiel aufzuhängen. Seit dieser Zeit werden die Gänse hier tags zuvor fachgerecht getötet. Nach dem Schauspiel wurden sie als Gänsebraten verzehrt.

 

Die Anschauungen in weiten Bevölkerungskreisen haben sich in den letzten 200 Jahren stark verändert. Auch gegen das Zurschaustellen fachgerecht getöteter Tiere werden Einwendungen erhoben und Vorbehalte gemacht. Echte Gänse werden daher heute in den Regionen am Hellweg (Stadt Essen und Dortmund) nicht mehr verwendet, sondern nur noch Attrappen.

 

 

 

In Frankreich und Belgien finden sich ebenfalls unter dem Begriff Chevauchement de l`Oie oder Tirer a l`Oie Traditionen des Gänsereitens.

 

 

In den Niederlanden ist das Schauspiel unter dem Namen „gansrijden, genkrijden“ oder „ganstrekken“ bekannt, in Limburg, Oost-Maasland und Polderland verbreitet.

 

Die Niederlande erließ 1878  das Verbot, lebende Tiere für das Schauspiel zu verwenden. Der Wettkampf wird am Karnevalsdienstag ausgetragen. Am Pfingstmontag gibt es regelmäßig zusätzliche folkloristische Umzüge der Gänsereiter.

 

In Belgien gibt es heute noch Wettkämpfe für das Gänsereiten in Oost-Flandern und um Antwerpen, im Bereich des Polderlandes.

 

Belgien erließ erst 1926 das Verbot, lebende Tiere für das Schauspiel zu nutzen.

In der Poldergemeinde Ekeren in der Nähe von Antwerpen traten bereits 1905 aus Anlaß der 75jährigen Unabhängigkeitsfeiern der Belgier von den Niederlanden Gänsereiter auf. Am damaligen Festumzug beteiligten sich die „Gansrijders van Ekeren“ mit belgischen Kaltblütern, wie in der Niederländischen Zeitschrift für Volkskunde (Nederlandse Tijdschrift voor Volkskunde) Nr. 39 aus dem Jahre 1934 nachzulesen ist. Weitere Forschungshinweise und –ergebnisse finden sich in der Zeitschrift „Forschungen zur Volks- und Landeskunde“, Nr. 12, 1 aus 1969. Zentrum für das Gänsereiten in Belgien ist heute die Gemeinde Berendrecht.



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